Eine seltene Variante des Wilkie-Syndroms
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Eine seltene Variante des Wilkie-Syndroms

(publiziert am 20.01.2024 zum 41. Geburtstag von Prof. Dr. rer. nat. Jakob Scholbach, der schon als Schüler des Ostwald-Gymnasiums in Leipzig die erste Version der PixelFlux-software entwickelte)

 

Als Wilkie-Syndrom (SMA-Syndrom,  Arteria mesenterica superior Syndrom) wird eine Kompression des Zwölffingerdarms bei Überquerung der Aorta durch die obere Darmarterie, die Arteria mesenterica superior, bezeichnet. Diese Klemme engt den Zwölffingerdarms so weit ein, dass kurz nach Nahrungsaufnahme der Nahrungstransport unmittelbar hinter dem Magenausgang ( nach 6 cm) stockt und die Nahrung unter heftigen Schmerzen gegen diese Klemme gepresst wird. Dabei dehnt sich der Zwölffingerdarm oftmals auf einen Durchmesser von 3 und mehr Zentimetern auf  – was die Schmerzen verursacht – und die Nahrung schwappt am Ende einer peristaltischen Kontraktionswelle in den Magen, oft auch bis in den Mund zurück.

Die Patienten erbrechen dadurch, stoßen auf, die Magensäure fließt zurück, sie haben heftige wellenartige Schmerzen im rechten Oberbauch und auf der Verbindungslinie zwischen Nabel und Brustbein, wenn die frustranen Kontraktionswellen an der arteriellen Klemme zurückgeworfen werden. Schließlich können die Patienten einen unter Umständen lebensbedrohlichen Gewichtsverlust erleiden.

Leider wird dieses Krankheitsbild, insbesondere bei jungen Frauen und Mädchen, ohne genaue körperliche Untersuchung als Anorexia nervosa  (psychogene Essstörung) diagnostiziert. Die Folgen für die Patientinnen sind verheerend. Ihnen werden schwere psychologische Konflikte als Ursache für Ihre Beschwerden unterstellt, die Schmerzen werden nicht geglaubt, es wird behauptet die Beschwerden würden nur eingebildet und das Erbrechen würde willkürlich herbeigeführt, um Gewicht zu verlieren.

Die Diagnose einer Anorexie ohne Ausschluss von Gefäßkompressionen ist meines Erachtens ein kapitaler Fehler.

Ich möchte hier nun eine bislang nicht beschriebene Variante dieses Krankheitsbildes vorstellen.

Bei der sehr schlanken jungen Patientin (BMI minimal 15,5 – aktuell 18,7 unter Sondenernährung) bestand ein hypermobiles Ehlers-Danlos-Syndrom.

Nach der Nahrungsaufnahme drängte der sich füllende Magen die Arteria mesenterica superior weiter nach rechts auf eine Distanz von 23 mm zur Aortenachse. Nun drückte der sich füllende Magen die Arteria mesenterica superior auf eine minimale Distanz von 7,12 mm auf die Vorderkante des Lendenwirbelkörpers. Für das Duodenum blieb einen Raum von etwa 3 mm. Damit kam es zu einem Verschluss des Duodenums. Die rechtsseitige Portion des Duodenums dehnte sich auf 4 bis über 5 cm auf. Der hohe peristaltische Druck äußert sich darin, dass sich die Kontur des Duodenums schulterförmig an der Arteria mesenterica superior aufbäumt (Pfeile). Auch der Magen hat kaum Platz (5,95 mm) in der Medianlinie, wobei das Pankreas hier auf 6,38 mm komprimiert wird. (Solche Patienten haben manchmal eine gestörte Pankreasfunktion oder leicht erhöhte Lipase-Werte im Blut). Der Abstand der Wirbelsäule zur inneren Bauchwand liegt bei nur 2,16 cm, was auf die hochgradige Lordose als Ursache dieses und der begleitenden Gefäßkompressionssyndrome der Patientin (lordogenetische Nierenvenenkompression  – fälschlicherweise oft als „Nußknackersyndrom“ bezeichnet , May-Thurner-Syndrom und Ligamentum arcuatum Syndrom) hinweist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Aorta, die in anatomischen Lehrbüchern häufig mittig auf der Wirbelsäule abgebildet wird, 1,70 cm nach links aus der Mittellinie ausgewichen ist. Die Arteria mesenterica superior ist hingegen um 4,81 mm nach rechts aus der Mittellinie ausgewichen. Man kann die Situation am besten so beschreiben: die Wirbelsäule quetscht die Oberbauchorgane gegen die innere Bauchwand, wodurch die Arterien zur Seite ausweichen, die horizontal über die Wirbelsäule ziehenden Strukturen wie Duodenum, Pankreas und Magen jedoch hochgradig komprimiert werden, was zur Entleerungsstörung des Magens und des Duodenums führt.

Solange die Patientin nüchtern war, bestand ein Abstand der Arteria mesenterica superior (SMA) zur Wirbelsäule von 13,8 mm, wobei die Arterie bereits 5,3 mm nach rechts aus der Aortenachse ausgewichen war (siehe folgende Abbildung):

 

 

 

 

Die Arteria mesenterica superior wurde nach der Nahrungsaufnahme weit nach rechts verdrängt. Die Aorta lag auf der linken vorderen Wölbung der Wirbelsäule. Beide Gefäße beschrieben also einen weiten Winkel in der Horizontalebene.

Beim Wilkie-Syndrom und bei allen anderen Gefäßkompressionssyndromen im Bauchraum spielt eine verstärkte Lordose der Lendenwirbelsäule (Hohlkreuz) eine entscheidende Rolle für die Erkrankung.

Auch bei dieser Patientin war dies der Fall. Die ausgeprägte Vorwärtswölbung der Wirbelsäule hatte dazu geführt, dass für die Bauchorgane nur noch ein Spalt von ca. 2 cm vor der Wirbelsäule zur Verfügung stand. Dadurch hatten die Aorta, der Magen und die obere Darmarterie (Arteria mesenterica superior) nicht genügend Platz, um in einer Sagittalebene zu liegen, wie dies in gängigen anatomischen Lehrbüchern zumeist dargestellt wird.

 

 

Die beengten räumlichen Verhältnisse hatten dazu geführt, dass der Zwölffingerdarm zwischen oberer Darmarterie und Wirbelsäule eingeklemmt wurde statt, wie sonst beim Wilkie-Syndrom, zwischen der oberen Darmarterie und der Aorta. Die peristaltische Welle war nicht in der Lage die obere Darmarterie weit genug gegen die Bauchdecke anzuheben, um dem Nahrungsbrei eine ungestörte Passage durch die horizontale Portion des Zwölffingerdarms zu ermöglichen. Die Symptome entsprachen denen eines klassischen Wilkie-Syndroms.

Es ist wichtig, auch solche Varianten nicht zu übersehen, bei denen die klassische anatomischen Konstellation zwar nicht gegeben ist, die funktionellen Folgen und damit das Krankheitsbild für den Patienten jedoch gleichermaßen eine erhebliche Beeinträchtigung darstellt. Besonders beeindruckend ist es, wie sich die Lageverhältnisse der Oberbauchorgane durch den zusätzlichen Volumenbedarf des sich füllenden Magens verändern. Dadurch können völlig andere anatomische Verhältnisse erzeugt werden, als gewöhnlich auf einer nüchternen Aufnahme zu sehen.

Zum Beispiel zeigt dieses nüchtern-CT der Patientin eine ganz andere , „normale“ Topografie von ASM und Aorta nämlich in einer Sagittalebene:

 

Diese häufige Beobachtung  unterstreicht nochmals die Notwendigkeit einer funktionellen Untersuchung und genauen Beobachtung des Zusammenspiels der Oberbauchorgane während ihres Funktionstestes. Auch die Einnahme einer aufrechten Körperhaltung kann erhebliche Lageveränderungen der Organe hervorrufen. Nicht selten kommt es nach Nahrungsaufnahme oder im Stehen auch zu einer Beeinträchtigung der Nierendurchblutung, wobei die zunehmende Blutstauung in den Kollateralkreisläufen dann erhebliche Symptome der Nahrungsaufnahme und der aufrechten Körperhaltung in den Beinen und im Becken auslöst.

Bei der Patientin brach die Durchblutung beider Nieren im Stehen deutlich ein. Jedoch bereits die Nahrungsaufnahme führt im Liegen zu einer Abnahme der Durchblutung der linken und auch der rechten Niere.

 

 

Das folgende Diagramm zeigt, dass die periphere Durchblutung der rechten Niere nach der Nahrungsaufnahme von 53% im nüchternen Zustand auf 44% abfällt. Dies ist ein klarer Hinweis auf den zunehmenden Ausfluss Widerstand der rechten Nierenvene, offensichtlich infolge deren Kompression durch das massiv erweiterte Duodenum.

 

Für die Beurteilung der mannigfaltigen Zusammenhänge der gestörten Organfunktion verschiedener Abdominalorgane und provozierender Faktoren wie Körperlagewechsel und Nahrungsaufnahme ist eine quantitative Beurteilung der Durchblutung der Organe mit der PixelFlux Software, die erstmals vor 24 Jahren von meinem Sohn, Jakob Scholbach, entwickelt wurde, unverzichtbar.

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